Grün geschlagen - Links gestärkt
Die Grünen – in Frankreich «Ecolos» genannt – erreichten vor 5 Jahren noch 13.5%. Jetzt sind es noch 5,5%. Ihr Niedergang zeichnete sich ab, trotz immer mehr sicht- und spürbaren Umweltveränderungen.
Bei den letzten Wahlen für das nationale Parlament vor 2 Jahren konnten sie diesen Niedergang noch verstecken, denn sie traten als Teil der NUPES auf, einer gemeinsamen Plattform von Grünen, Sozialisten, Linksextremen und Kommunisten.
Das Ende der NUPES hatte der Führer der linksextremen Bewegung «La France insoumise» (unbeugsames Frankreich) Jean-Luc Mélenchon provoziert. Seine permanente Hetze gegen Israel, seine Weigerung sich vom Terror der Hamas zu distanzieren und seine permanente Kritik an der Polizeiarbeit, hat die anderen Parteien zum Austritt aus der NUPES gebracht.
Mélenchons Partei scheint darunter nicht gelitten zu haben. Sie erhielt 9.9% Wählanteil. Das sei ein Zuwachs von mehr als 50% jubelten am Sonntagabend die Anhänger der «Insoumise».
Wirklichen Grund zum Jubeln haben auf der linken Seite allerdings nur die Sozialisten. Diese Partei, die nach der Amtszeit des französischen Präsidenten François Hollande als «klinisch tot» bezeichnet wurde, erreichte 2019 nur 6.2% der Stimmen bei den Europa-Wahlen. Dieses Mal sind es mit 13,8% mehr als doppelt so viele.
Verantwortlich dafür ist Raphaël Glucksmann, ein Journalist, Dokumentarfilmer und Europa-Politiker. Ihm gelang es, der darniederliegenden Partei wieder Leben einzuhauchen, indem er sich klar für Europa positionierte, sich auf die Seite der Ukraine stelle und die finanzielle Abhängigkeit der Bardella/LePen Partei von Moskau demaskierte.
Macron zieht den Stecker
Die Europa-Wahlkampagne von LePen/Bardella hatte eine Leitlinie: «Dies ist der Moment, in dem sie als Wähler ihre Unzufriedenheit mit der Regierung zum Ausdruck bringen können». Diese Botschaft wurde am TV täglich und auf den Plakaten allerorten wiederholt.
Die Regierungspartei von Emmanuel Macron versuchte vergeblich darauf hinzuweisen, dass es um Europa und das Europa-Parlament ging und nicht um eine inländische Wahl.
Nach der Bekanntgabe des Resultats forderte Bardella sofort die Auflösung des französischen Parlaments, denn die Regierung habe keinen Kredit mehr beim Volk.
Dass Emmanuel Macron wenige Minuten später genau dieser Forderung nachgab, überraschte allgemein und dominiert die Schlagzeilen aller Nachrichten.
Macron sagte in seiner TV-Ansprache: «Ich habe beschlossen, Ihnen die Wahl unserer parlamentarischen Zukunft durch die Abstimmung zurückzugeben, ich löse heute Abend die Nationalversammlung auf». Einen solchen Donnerschlag gab es letztmals 1997. Damals war die Auflösung des Parlaments eine Reaktion des damaligen bürgerlichen Präsidenten Jacques Chirac auf den Erfolg der Sozialisten.
Das grosse Rätselraten
Zurzeit sind alle Sorten Fachleute am Rätseln, was Emmanuel Macron zu diesem Schritt bewogen hat. Es dominiert die These, dass dies sein letzter Versuch ist, die Regierung zu retten durch ein Bündnis aller «vernünftigen Kräfte».
Tatsächlich gibt es auf der relativ erfolgreichen linken Seite Gedankenspiele für eine Wiederbelebung der NUPES, also des gescheiterten Bündnisses von Linksextremen, Kommunisten, Sozialisten und Grünen.
Andere Politiker denken einen Schritt weiter und reden von einer «Front populaire», also einer «Volksfront», welche alle Kräfte bis weit ins bürgerliche Lager hinein vereinen soll.
Dabei werden historische Parallelen gezogen mit Mitte der 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts als eine solche Volksfront, die sogenannte «Front Léon Blum», gegen den aufkommenden Faschismus gegründet wurde.
Und dabei könnte - aber das ist natürlich nur eine weitere These, dieses Mal von mir - ein heute sehr beliebter französischer Philosoph eine Rolle spielen. Sein Name ist Michel Onfray. Er betreibt seit 2020 die Webseite https://frontpopulaire.fr/ und veröffentlicht regelmässig ein Magazin mit dem Namen «Front populaire».
In dieser Front versammelt sein sollen, so Michel Onfray: «Alle konsequenten Demokraten, von links, rechts, nirgends und anderswo».