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Region Bülach
01.01.2025
01.01.2025 09:23 Uhr

Mitte Politiker wettert in Jahresbilanz gegen Eglisauer Verbotskultur

Bild: Marc Jäggi
IPK-Präsident Sven Patrick Stecher zieht Bilanz: Kritik an Verbotskultur, Forderung nach „kreativer Unordnung“ und Visionen für ein lebendiges Eglisau.

Kaum eine Gemeinde im Zürcher Unterland hatte im eben zu Ende gegangenen Jahr mehr Herausforderungen zu meistern als Eglisau. Vor allem Bevölkerungswachstum, Verkehrssituation und ein paar andere Dossiers haben Bevölkerung, Verwaltung und Politik 2024 ziemlich gefordert. 

Zum Start in das neue Jahr wollen wir deshalb mit dem amtierenden Präsidenten der Interparteilichen Konferenz (IPK) Eglisau, Sven Patrick Stecher, eine Art "Kamingespräch" führen. Und Stecher "heizt" ein. 

Er übt in seinen Ausführungen Kritik an der lokalen Politik, lobt den Austausch in der IPK und fordert einen mutigen Schritt weg von Einschränkungen hin zu mehr Freiheiten. Zwischen Nachdenklichkeit und provokanten Thesen wirft Sven Stecher die Frage auf, wie Eglisau zu einer lebendigen Gemeinschaft für alle Generationen werden kann.

zu24: Sven Patrick Stecher, ist es üblich, dass ein IPK-Präsident ein Jahresbilanz-Interview gibt und einen Neujahrs-Ausblick wagt?

Sven Patrick Stecher: Ich denke, dies ist das erste Mal und steht im Zusammenhang mit der gewachsenen Rolle und dem Selbstverständnis der IPK Eglisau. Wir sind als Einfluss nehmendes Gremium dieses Jahr weiter gewachsen.

zu24: … und einer gehörigen Portion Freude an Selbstdarstellung Ihrerseits?

Sven Patrick Stecher: Genau. Diese Freude spielt neben dem Sinn unserer Aufgabe eine wichtige Rolle für die Motivation, in der IPK Zeit und Aufwand zu leisten.

zu24: Wie würden Sie das Eglisauer 2024 aus Sicht der IPK beschreiben?

Sven Patrick Stecher: Ich kann das nur aus meiner persönlichen Sicht beschreiben, die IPK hat dazu kein gemeinsames Statement verfasst.

zu24: Jetzt formulieren Sie ungewohnt vorsichtig und zurückhaltend.

Sven Patrick Stecher: Ja, ist auch so gewollt. Das Unterscheiden einer gemeinsam gefassten IPK-Meinung von geäusserten, persönlichen Auffassungen der mitwirkenden Personen ist mit Sorgfalt zu beachten und transparent zu kommunizieren. Das durfte ich in der IPK lernen. Nur so kann dieser informale Parteienbund unter Berücksichtigung der Autonomie der einzelnen Mitglieder funktionieren.

zu24: Die SVP ist nach wie vor nicht Mitglied der IPK. Haben Sie da in Ihrer integrierenden Rolle versagt?

Sven Patrick Stecher: Ja. Es ist mir nicht gelungen, die SVP zurück an unseren konsensorientierten Tisch zu bringen. Dabei sind mit Regula Peter, Ursula Fehr und Roger Diener feine und differenzierte Persönlichkeiten in den Reihen der mächtigsten Partei, die mit Sinnstiftung überzeugen und nicht mit mehrheitsorientiertem Wahrheitsanspruch.

zu24: Das sind ja mal wieder üppige Satzkonstrukte! Mal ehrlich, werden Sie in der IPK überhaupt verstanden?

Sven Patrick Stecher: Die Frage stellt sich nicht, es geht darum, dass wir uns gegenseitig verstehen. Unsere Kommunikationskultur ist differenziert und auf einer gemeinsamen Augenhöhe. Wir haben mit den Mitgliedern der IPK zudem eine überdurchschnittlich lebenserfahrene Crew an Bord, die Weisheit einbringt und entstehen lässt: Michael Heegewald, FDP-Präsident, CEO und Unternehmer; Klaus Vogel, GLP-Präsident und Oberrichter; Ruedi Mösch, SP-Vertreter und Künstler sowie Stephan Fröhlich, Vertreter des Fokus, einer der aufrichtigsten Menschen, die ich kennenlernen durfte und mich oft besinnen liess. Stephan wird durch Madeleine Büchi ersetzt, die schon jetzt neue, faszinierende Impulse durchblicken lässt.

zu24: Zurück zum Rückblick. Wie sehen Sie das lokalpolitische Jahr in Eglisau?

Sven Patrick Stecher: Ich beschreibe es aus Sicht der politischen Willensbildung. Das Jahr 2024 war ein wichtiges Jahr im Zusammenkommen von Volk und Gemeinderat. Bisher verlor der Gemeinderat die Mehrheit der eigenen Standpunkte, bis er verstand, dass seine Rolle darin besteht, den Willen des Volkes festzustellen und nicht den Tätschmeischter zu spielen. Einzelne Mitglieder, wie Gemeinderätin Sandrine Haas, haben das schon immer verstanden und in das politische Handwerk umgesetzt.

zu24: Welche weiteren Mitglieder der Behörden sind Ihnen weiter positiv aufgefallen?

Sven Patrick Stecher: Sicher der Gemeindeschreiber Lucas Müller, in seiner klaren, rechtlich einwandfrei vermittelnden Orientierung, und Gemeinderat Nicolas Wälle, der sehr elastisch übergeordnete Richtung und Einbindung von Meinungen zu verbinden weiss.

zu24: Da fehlen noch ein paar prominente Namen. 

Sven Patrick Stecher: Ja. Beispielsweise Regula Peter. Ihr Engagement für die Menschen im AZW ist immens. Ich denke, unterdessen hat Regula den Wandel und die Entwicklung des AZW ins Auge gefasst und nicht nur das Schonen der Arbeitsumgebung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AZW. Also ein weiteres positives Beispiel.

zu24: Und was ist mit den Gemeinderäten Thomas Lauffer, Nando Oberli und Felix Baader?

Ich kann da schwierig eine Aussage tätigen. Für mich sind diese Mitglieder nach aussen wenig präsent; mag sein, dass sie im eigenen Ressort gute Arbeit verrichten. Nur sind sie nicht nur Ressortvorsteher, sondern mitverantwortlich für Beschlüsse des Gemeinderates. Am Schluss muss der Gemeindepräsident Roland Ruckstuhl beurteilen, wie stark die Mitglieder für den gesamten Gemeinderat auftreten oder ob das alleine seiner präsidialen Rolle vorbehalten ist.

zu24: Und was sagen Sie zu Präsident Roland Ruckstuhl selbst?

Sven Patrick Stecher: Ein sehr engagierter Präsident, der das Beste für Eglisau will und sich in dieser Eigenschaft in eine Reihe von Präsidentinnen und Präsidenten in Eglisau eingliedert. Es müsste Roland noch gelingen, die Kraft eines geeinten Teams zu etablieren, weniger zu kontrollieren und mehr zu beflügeln sowie über zwei Stufen, indirekt zu führen. Die Führung eines Organisationskomitees unterscheidet sich genau darin von der Führung einer mehrstufigen, politischen und verwaltungstechnischen Struktur.

zu24: Eglisau hatte im Jahre 2024 enorme Herausforderungen zu bewältigen. Welches war aus Ihrer Sicht die größte?

Sven Patrick Stecher: Ich würde nicht von enormen Herausforderungen sprechen. Wir hatten Gott sei Dank keine Katastrophen und existenziellen Krisen zu bewältigen. Als anspruchsvoll sehe ich den Umbau der Schulstruktur in Eglisau, welcher durch das neue Oberstufen-Schulhaus ermöglicht werden wird, weiter den Finanzhaushalt ohne Steuererhöhungen zu meistern und die ganze Alters- und Pflegestruktur zukunftsträchtig zu gestalten. Ich bin zuversichtlich, dass die neue BAPF strategisch weit vorausschaut und gleichzeitig die neue Leitung des AZW stärkt, fördert und stützt.

zu24: Schauen wir nach vorne. Was ist Ihre persönliche Neujahrsbotschaft für Eglisau?

Sven Patrick Stecher: Lasst uns den Slogan „Das Städtli lebt“ auch aus der Perspektive der jungen Bürgerinnen und Bürger umsetzen und auf ganz Eglisau ausdehnen!

zu24: Was heisst das konkret?

Sven Patrick Stecher: Chris von Rohr würde sagen: Me Dräck! Wir haben immer mehr Einschränkungen, Verbote, Beruhigungen etc., die sich an einem Maximum an Ordnung orientieren und kreative Unordnung, also meh Dräck, eindämmen und so über das Ziel hinausschiessen. Einige Beispiele: Hunde sind auf dem Salzhausplatz über das ganze Jahr verbannt. Es würde reichen, dies über die Sommermonate zu tun, wenn dieser Rasen auch von Menschen benutzt wird. Weiter: Der Weg zur Badi ist mit einem allgemeinen Fahrverbot sowie einem Velofahrverbot belegt. Wieso sollten Fahrräder nicht bis an die Badi fahren dürfen?

Ich setze mich beispielsweise dafür ein, dass während den sommerlichen Wochenendfahrverboten Motorräder wieder zugelassen und zur Kundschaft des Hirschen und der Rhybar werden. Diese Klientel wurde mit dem allgemeinen Fahrverbot, welches dem Suchverkehr und Kollaps durch Autos galt, als Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Ein weiteres Beispiel ist die Aussengastronomie, speziell die des Hirschen: Für diese wurde ein schmaler Streifen angrenzend an den bestehenden Gartenteil vorgesehen. Der reicht jedoch nicht aus, um dringend nötige Sonnenschirme hinzuzustellen.

zu24: Und wer hat Recht?

Sven Patrick Stecher: Das gilt es aus einer gesamten Perspektive von einer lebendigen Gemeinschaft herauszufinden. Und zwar der ganzen Gemeinschaft. Wir sind zu sehr auf das Städtli fokussiert. Was ist mit der kulturellen Entwicklung in den anderen, bevölkerungsreichen Teilen Eglisaus? Ich sage bloss: Eglisau wurde stark durch Pensionäre geformt. Eines Tages werden wir uns fragen, weshalb es die Jungen in die grösseren Städte zieht und wir ein zweites Schlafstädtchen wie Regensberg geworden sind. Ohne die tollen kulturellen Initiativen von Viva Eglisau wären wir wohl schon so weit. Wir dürfen als Gesamtes kreativer werden und Akzente begrüssen; Verbote sind immer die zweitbeste Option, einen Missstand zu bewältigen. Eglisau soll wirklich leben!




mj