Lebensstiländerungen sind oft eine grosse Herausforderung. In Gesprächen mit Patienten begegne ich immer wieder Menschen, die die Verantwortung für ihr Leben nicht übernehmen wollen oder können. Sie geben der Gesellschaft, der Kindheit oder anderen äusseren Umständen die Schuld für ihre Situation. Doch der erste Schritt zur Veränderung ist die Erkenntnis: Ich allein kann etwas ändern. In meiner Rolle als Arzt versuche ich, die Motivation der Patienten zu stärken und sie zu unterstützen. Zum Beispiel beginnt das Abnehmen im Kopf. Ich frage: Wollen Sie etwas ändern? Was ist Ihr Ziel? Und wie können Sie es erreichen? Damit wird klar, dass der Patient aktiv werden muss und nicht auf eine einfache Lösung durch Medikamente hoffen darf. Die gleichen Fragen könnte ich stellen, wenn es um das Rauchen geht oder die mangelnde Bewegung.
Georg Christoph Lichtenberg, Spätaufklärer aus dem 18. Jahrhundert, sagte einst: "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll." Oder mit dem römischen Philosophenkaiser Marc Aurel: "Betrachte nur die Dinge von einer anderen Seite, als du sie bisher ansahst. Denn das heisst eben: ein neues Leben beginnen." Diese Haltung versuche ich, den Patienten zu vermitteln: Du kannst es schaffen, und ich helfe dir dabei!
Eine realistische Zielsetzung ist entscheidend. Wer mit übertriebenen Erwartungen startet, wird scheitern. Ein erster Schritt könnte sein, 10 % des Körpergewichts zu verlieren und dann das Gewicht zu halten. Hilfreich sind Protokolle zur Ernährung und Bewegung, regelmässiges Wiegen und unterstützende Techniken wie Fitnessuhren. Eine Ernährungsberatung kann gezielt neue Essgewohnheiten fördern. Die Erfahrung zeigt, dass bereits ein moderater Gewichtsverlust erhebliche gesundheitliche Vorteile mit sich bringt.
Die antike Philosophie der Stoa liefert wertvolle Strategien für Veränderungsprozesse. Nach der Stoa können wir unser Umfeld nicht beeinflussen, wohl aber unsere Einstellung dazu. Seneca, ein Vertreter der Stoa wie auch Marc Aurel, sagte: "Nicht, weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwierig." Diese Einsicht hilft, neue Gewohnheiten zu etablieren – etwa durch bewussten Verzicht auf ungesunde Lebensmittel oder den Austausch schlechter Gewohnheiten gegen bessere. Beispielsweise kann man sich angewöhnen, Obst statt Süssigkeiten zu essen oder Tee statt Kaffee zu trinken.
In der Praxis stehe ich vor vielen Herausforderungen. Ein Patient mit 180 kg litt unter Diabetes und Bluthochdruck. Diäten scheiterten, bis eine Magen-Bypass-Operation half. Er verlor 80 kg, musste aber auch psychische Krisen bewältigen. Manche Patienten setzen lieber auf Medikamente, doch ohne Verhaltensänderung ist der Effekt nicht nachhaltig.
Veränderungen erfordern Motivation. Der Philosoph und Hirnforscher Gerhard Roth beschreibt in seinem Buch "Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern", dass Menschen ihr Verhalten nur ändern, wenn sie eine Belohnung darin sehen. Diese kann materiell, sozial oder intrinsisch sein. Nachhaltig ist vor allem die Selbstmotivation. Roth schlägt drei Strategien vor: 1. Einem Vorbild nacheifern, 2. Sich klare Ziele setzen, 3. Kleine Schritte mit Selbstbelohnungen kombinieren.
Trotz aller Bemühungen gelingt eine Lebensstiländerung nicht immer. Manche Patienten ignorieren jahrelang Warnsignale und nehmen gesundheitliche Risiken in Kauf. Doch es gibt auch Erfolge – und an diesen orientiere ich mich. Faktoren wie Selbstwirksamkeit, Hoffnung und Optimismus spielen eine entscheidende Rolle. Denn Veränderung beginnt im Kopf – und mit der richtigen Unterstützung kann sie gelingen.
Dr. med. Giovanni Fantacci, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin mit Hausarztpraxis in Niederhasli.