Die Emotionen rund um das Hirschen-Aus kochen hoch. Nach 18 Jahren macht der beliebte Gasthof am Rhein dicht – und Wirt Werner Dubno rechnet hart mit der Gemeinde ab. Vorwürfe: fehlender Rückhalt, ignorierte Vorschläge, ein Foodtruck als Auslöser. Nun bezieht Eglisaus Gemeindepräsident Roland Ruckstuhl Stellung. Im zu24 Interview erklärt er, weshalb es aus seiner Sicht keinen Grund für persönliche Angriffe gibt.
zu24: Herr Ruckstuhl, der Gasthof Hirschen schliesst nach fast zwei Jahrzehnten. Wie konnte es so weit kommen – und was sagt das über die aktuelle Stimmung in Eglisau aus?
Roland Ruckstuhl: Mich trifft die Schliessung persönlich sehr. Ich war oft und gerne zu Gast im Hirschen. Der Gasthof war über Jahrzehnte bedeutender Ort des gesellschaftlichen Lebens in Eglisau und hat den Ort geprägt. Ich danke dem gesamten Team herzlich für die enorme Gastfreundschaft. Gleichzeitig zeigt unsere aktuelle Bevölkerungsbefragung 2025: Die grosse Mehrheit der Eglisauerinnen und Eglisauer lebt sehr gerne hier. Das ist ein starkes Zeichen für die Lebensqualität in unserer Gemeinde.
zu24: Haben Sie als Gemeindepräsident versucht, frühzeitig das Gespräch zu suchen?
Roland Ruckstuhl: Wir waren genauso überrascht wie viele in Eglisau. Von der Schliessung haben wir über die Medien erfahren. Dabei standen wir mit dem Hirschen immer im Austausch, wie mit allen Gastrobetrieben auch. Wir haben die Branche mit zusätzlichen Aussenflächen, Gebührenerlassen und weiteren Massnahmen gezielt unterstützt. Viele Betriebe haben dies dankend angenommen und umgesetzt, der Hirschen leider weniger. Die vom Betreiber geäusserte Kritik, die Gemeinde habe die Weiterführung des Betriebs erschwert, weist der Gemeinderat jedoch zurück. Der Hirschen kämpfte – wie viele gastronomische Betriebe aktuell schweizweit – seit längerem mit wirtschaftlichen Herausforderungen. Steigende Kosten, Fachkräftemangel und verändertes Konsumverhalten setzen der Branche stark zu. Diese Faktoren entziehen sich dem direkten Einfluss der Gemeinde.
zu24: Der Wirt spricht von mangelnder Wertschätzung durch die Behörden. Wie passt das zusammen?
Roland Ruckstuhl: Wir stehen klar hinter unserem lokalen Gewerbe und zeigen das auch: mit Veranstaltungen, die Wertschöpfung bringen, und mit konkreten Vorteilen wie Fringe-Benefits für rund 300 Gemeindemitarbeitende. Wir haben dem Hirschen noch vor wenigen Monaten einen grossen und positiven TV-Auftritt ermöglicht. Unser Engagement ist sichtbar und unbestritten. Deshalb kann ich den Vorwurf mangelnder Wertschätzung nicht nachvollziehen.
zu24: Ist die Kritik denn völlig unbegründet?
Roland Ruckstuhl: Wir hören Kritik – und wir nehmen sie ernst. Gleichzeitig gilt: Manche Darstellungen werden durch den politischen Kontext zugespitzt. Das verzerrt die Realität. Waren im ersten Interview mit der Besitzerschaft noch von vielen Faktoren die Rede, welche zur Schliessung geführt haben, ist es mittlerweile scheinbar ausschliesslich die Schuld der Behörden. Viele bringen sich bereits für den Wahlkampf in Stellung und nutzen jede Gelegenheit, die wahren Verhältnisse zu ihren Gunsten zu verzerren. Leidtragender hier ist Eglisau selbst. All unsere Bemühungen, dass unser Städtli auf einen positiven Nenner gebracht wird, verpuffen etwas. Es werden noch viele, grosse Herausforderungen auf uns zu kommen. Und wenn wir aufgrund der negativen Berichterstattung lesen, dass Eglisau eine «schreckliche Gemeinde» ist, hilft das weder den verbleibenden Gastro-Betrieben, noch dem Gewerbe. Schon gar nicht der Bevölkerung. Wir wollen nun den Dialog mit der Besitzerschaft suchen, um für Eglisau rasch eine Nachfolgelösung zu finden.
zu24: Auch andere Wirte fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. Sind das Warnsignale?
Roland Ruckstuhl: Wer ein Anliegen hat, soll jederzeit direkt auf uns zukommen. Wir hören zu und suchen Lösungen. Gleichzeitig müssen wir zwischen verschiedenen Interessen abwägen: Gewerbe, Anwohnende, Verkehr und Sicherheit. Ein Ergebnis, das alle zu hundert Prozent zufriedenstellt, gibt es selten. Aber der Dialog bleibt unser wichtigstes Instrument. Die Betriebe haben in diesem Sommer stark von der hohen Besucherzahl profitiert, die der Donnschtig-Jass nach Eglisau gebracht hat. Rhybar und Nachtwächter waren hervorragend frequentiert, die Wertschöpfung für die Region ist deutlich gestiegen. Selbst das Hotel Sleep&Stay konnten wir in der Sommerflaute gut füllen. Ob man den Anlass persönlich mag oder nicht: wirtschaftlich war er ein Erfolg – auch für viele Vereine im Ort. Dazu werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer informieren.
zu24: Sind weniger Parkplätze und mehr Auflagen nicht ein Nachteil für die Gastronomie?
Roland Ruckstuhl: Die Anzahl Parkplätze ist gleichgeblieben, aber sie wurden anders verteilt. Das wurde schon in den vorherigen Legislaturen so aufgegleist und von der Bevölkerung gewollt. Die Verkehrsberuhigung im Städtli ist ein Alleinstellungsmerkmal: südländisches Ambiente, keine Autokolonnen. Das ist ein Vorteil, wenn man ihn als solchen nutzt. Wichtig noch zu erwähnen, dass die Zufahrt zu den Betrieben und Restaurants für Lieferanten, Hotel- oder gebehinderte Gäste jederzeit möglich ist. Es entsteht also kein Nachteil für die Wirtshäuser. Das Gewerbe hatte auch nie ihre eigenen Parkplätze im Städtli. Die paar wenigen Abstellmöglichkeiten wurden im Sommer mehrheitlich von den Besuchenden der Badi benutzt. Und genau diesen Suchverkehr wollte man rund um den Hirschen nicht haben. Da waren sich Behörde und Besitzerschaft einig.
zu24: Wird das touristische Bild gepflegt, aber die Wirte im Stich gelassen?
Roland Ruckstuhl: Nein. Wir sorgen für attraktive Rahmenbedingungen, für Sichtbarkeit und Orte der Begegnung. Gleichzeitig entsteht Leben dort, wo Gastgeberinnen und Gastgeber ein gutes Angebot machen und Menschen sich wohlfühlen. Beides gehört zusammen. Wenn Angebot und Öffnungszeiten stimmen, profitieren alle: Gewerbe, Bevölkerung und Gäste.
zu24: Dann hat sich der Hirschen Ihrer Meinung nach selbst in diese Situation gebracht?
Roland Ruckstuhl: Das möchte ich so nicht beurteilen. Ich weiss, wie viel Herzblut und Professionalität das Hirschen-Team eingebracht hat. Es gibt jedoch mehrere Gründe, weshalb es für viele Betriebe gerade schwierig ist. Einen einzigen Faktor verantwortlich zu machen, überzeugt mich nicht. Der Foodtruck ist ein Beispiel dafür. Er war wegen des laufenden Verfahrens diesen Sommer gar nicht in Betrieb. Wir haben den Testbetrieb ein Jahr lang begleitet und aufgrund vieler positiver Rückmeldungen aus der Bevölkerung ermöglichen wir Foodtrucks künftig in den Sommermonaten. Dafür gelten klare Regeln, damit das Angebot für niemanden zur Belastung wird. Auch der Hirschen hätte die Möglichkeit gehabt, einen eigenen Stand zu betreiben, wie er es 2009 angestrebt hatte. Die Rahmenbedingungen dafür sind nun gegeben.
zu24: Welche Verantwortung tragen Sie persönlich, wenn ein Traditionsbetrieb schliesst?
Roland Ruckstuhl: Als Gemeindepräsident kann ich unternehmerische Entscheidungen nicht beeinflussen. Die Verantwortung für einen Betrieb liegt bei den Besitzerinnen und Besitzern. Wir gestalten die Rahmenbedingungen so gut wie möglich, und das tun wir gemeinsam mit der Bevölkerung. Unternehmerische Freiheiten bleiben bei den Betrieben selbst. Unser Konzept für die erweiterte Aussengastronomie geht sogar weiter als in vielen anderen Gemeinden. Wir wollen faire Voraussetzungen schaffen und dort helfen, wo es in unserer Verantwortung liegt.
zu24: Wenn zwei Wirte ähnlich kritisieren – ist das nicht systematisch?
Roland Ruckstuhl: Nochmals, wir reglementieren nicht aus Lust an der Vorschrift, sondern im Auftrag der Bevölkerung. Reglemente wie die Polizeiverordnung wurden demokratisch beschlossen, die Parkier-Situation von der KÖRZ ausgearbeitet. Das Wochenendfahrverbot wurde von der vorherigen Legislatur auf Wunsch der Bevölkerung vom Städtli eingeführt. Und der Dialog bleibt jederzeit möglich. Die Interessengemeinschaften des Städtlis streben noch schärfere Massnahmen an. Hier ist es unsere Aufgaben im Gemeinderat, eine gesunde Balance zu erreichen.
zu24: Versteht Eglisau genug, wie sensibel lokale Betriebe reagieren?
Roland Ruckstuhl: Ja. Deshalb helfen wir bei Neueröffnungen aktiv: Sichtbarkeit, Vernetzung, Vereinbarungen mit der Gemeinde. So wird es auch beim Hirschen sein, sobald eine Nachfolgelösung bereitsteht.
zu24: Wie verhindern Sie, dass Eglisau zu einer Kulissen-Gemeinde wird – ohne echte Treffpunkte?
Roland Ruckstuhl: Indem wir uns weiter dafür einsetzten: in Orte der Begegnung, in Kultur, in Gastronomie. Und indem wir Lösungen ermöglichen, statt Hindernisse aufzubauen. Wir analysieren ständig die Abläufe und Entscheidungen im Bereich Standortentwicklung. Angedacht ist ein runder Tisch mit den Anspruchsgruppen aus Gastronomie und Gewerbe. Und weiterhin pflegen wir eine transparente Kommunikation zu Entscheidungsgrundlagen und Rahmenbedingungen und nehmen konstruktiv geäusserte Kritik sehr ernst. Eglisau soll auch künftig ein lebendiger Ort bleiben, in dem Gastfreundschaft und Begegnung ihren festen Platz haben. Der Gemeinderat steht klar zu einem starken und vielfältigen Gewerbe.