Der Schock sitzt tief: Der traditionsreiche Gasthof Hirschen in Eglisau wird im Dezember 2025 seine Türen schliessen. Dass Inhaber Werner Dubno aufhört, hat persönliche Gründe – aber auch politische. In seinem exklusiven Interview mit zu24 macht er klar, dass er sich von der Gemeinde ausgebremst und zu wenig wertgeschätzt fühlt.
Die Reaktionen auf diesen Entscheid sind deutlich. Eglisauer Parteien, Vereine und politische Meinungsführer äussern Bedauern – und zum Teil Kritik an der bisherigen Standortpolitik. Einigkeit herrscht nur in einem Punkt: Der Verlust des Hirschen ist ein herber Schlag für das gesellschaftliche Leben im Städtli – und weit darüber hinaus.
Sechs zentrale Stimmen aus der Lokalpolitik und dem Vereinsleben beziehen Stellung.
Parkplätze, Politik und verpasste Chancen
Für den Vorstand der SVP Eglisau ist klar: „Die SVP Eglisau hat 2021 bei der Erneuerung der Parkierungsverordnung und dem eingeführten Wochenendfahrverbot das Vorgehen der Behörde kritisiert und bei beiden Entscheidungen auf diese Gefahr hingewiesen. Wir haben mit rechtlichen Mitteln die Kompetenz des Gemeinderates für das durchgesetzte Fahrverbot angefochten und uns erfolglos für eine demokratische Abstimmung eingesetzt.“
Ruedi Mösch von der SP spricht von grundsätzlichem Versagen:
„Die Erreichbarkeit des Städtlis ist eine Geschichte der verpassten Chancen. Das nur wenige Jahre alte Parkplatz Management zeigte in aller Deutlichkeit, dass auf der Städtliseite des Rheins keine neuen Parkplätze finanzierbar sind. (siehe Projekt Parkhaus unter dem Viehmarkt) Für die Reduktion der vormals noch vorhandenen Parkplätze, welche auf kantonale Auflagen zurückzuführen ist, konnte kein Ersatz geschaffen werden. Das vor ca. 30 Jahren von Christoph Fröhlich projektierte Parkhaus Brückenkopf Süd fand laut ihm damals keine Unterstützung seitens der Gemeinde. Es wäre auch heute noch eine gangbare Lösung, doch soviel ich weiss, ist das nicht mehr machbar, weil die heutigen Grundbesitzer dazu nicht bereit seien...“
Michael Heegewald von der FDP mahnt zur Differenzierung:
„Die Sorge der Wirte ist nachvollziehbar: Erreichbarkeit und Parkierung sind Standortfaktoren – sie erklären aber nicht allein die Lage unserer Gastronomie. Und ja, die Politik trägt Mitverantwortung für gute Rahmenbedingungen, nicht jedoch für die betriebliche Entwicklung der genannten Gastrobetriebe. [...] Weiter fehlt mir auch in der aktuellen Situation eine Prise gesunde und ehrliche Selbstreflexion der Akteure.“
Für Sven Patrick Stecher von Die Mitte ist klar: „Die Politik trägt immer eine Mitverantwortung; denn sie gewichtet Interessen. Wenn Verkehrsbefreiung und Erreichbarkeit gegenüberstehen, ist es die Kunst, Lösungen zu finden, welche beide Interessen bedienen. Dazu braucht es einen aufrichtigen, kreativen Dialog.“
Klaus Vogel von der GLP sieht die Verkehrssituation differenziert:
„Wie so oft sind es viele Gründe, die zu einem bestimmten Entscheid führen. So auch hier. Zuspitzungen und Empörung helfen nicht. [...] Ich glaube nicht, dass die Anzahl Parkplätze direkt vor dem Haus relevant ist – es sind ja immer zu wenig. Die Fussgängerzone um den Hirschen steigert vielmehr den Situationswert – zum Glück (!) wurde der nervige Parkplatzsuchverkehr verbannt. Es gibt gute Ideen, so etwa die eines Fährbetriebs zum Hirschen oder die eines eShuttle-Busses. Das Potential eines verkehrsbefreiten unteren Städtlis konnte sich bisher noch nicht voll entfalten – da liegt noch mehr drin!“
Christoph Hagedorn von Viva Eglisau äussert klare Bedenken zur Zukunft: „Die Erreichbarkeit von Eglisau mit Fahrzeugen ist bereits jetzt mühsam und wird sich während den ab 2027 geplanten Arbeiten an der Durchfahrt nochmals massiv verschlechtern. Zusätzliche Parkplätze sind auf Grund der Enge im Städtli unmöglich. Für die generelle Zunahme des Individualverkehrs kann die Politik nichts. Aber den willkommenen Besucher*innen muss als Antwort auf ‚Eglistau‘ die Anreise mit den ÖV, dem Fahrrad oder wandernd proaktiv empfohlen werden.“
Traditionsbetriebe ohne Rückhalt?
Die Aussagen von Werner Dubno zur fehlenden Wertschätzung haben viele aufgeschreckt. Die Reaktionen reichen von Verständnis bis zu Selbstkritik.
Michael Heegewald: „Ich nehme diese Wahrnehmung ernst. Traditionsbetriebe wie der Hirschen oder die Krone prägen/prägten Identität und Frequenz im Städtli; ihnen gebührt Respekt. Politik trägt Mitverantwortung: nicht für einzelne Geschäftserfolge, wohl aber für faire Regeln, kurze Entscheidungswege und Planbarkeit. [...] Gesellschaftliche Wertschätzung entsteht weitgehend ausserhalb der Politik – durch Kooperation mit Vereinen, Kultur oder mit der Nachbarschaft und indem wir vermehrt lokal einkehren.“
Sven Patrick Stecher: „Ich kann das nachvollziehen. Der Gemeinderat hat nicht erkannt, dass Hirschen, Krone und auch der Bachsi eine Art systemrelevante Unternehmen auf kommunaler Ebene sind. Es sind nicht staatliche Funktionen wie das Werk, die Schule, das Soziale und alles, was in Ressorts als staatliche Aufgaben verstanden wird. Es sind privatwirtschaftliche Funktionen mit wichtiger Bedeutung für die Identität und die Gesellschaft Eglisaus. Es ist richtig, diesen einen wohlwollende Aufmerksamkeit zu schenken.“
SVP Eglisau: „Die gehobene Gastronomie ist auf Gäste von Nah und Fern angewiesen. Fehlende oder übertreuerte Parkplätze führen zu einer Abwanderung der Besuchenden. Gesellschaftlich hat die Toleranz gegenüber Gastronomie und Gewerbe eingebüsst, man fühlt sich durch den Verkehr und die stärkere Frequentierung gestört und ist überrascht, wenn die Betriebe Konsequenzen daraus ziehen.“
Klaus Vogel: „Effektiv gebührt Werner Dubno grossen Dank für sein riesiges Engagement für Eglisau. ‚Leuchttürme‘, wie es der Hirschen in mancher Hinsicht ist, sollten besonders wohlwollend begleitet werden. [...] Innovationskraft sollte spürbar Rückenwind erfahren. Was auch immer zur Irritation geführt hat – jetzt muss man dringend den Dialog aufnehmen und eine gute Anschlusslösung suchen.“
Christoph Hagedorn: „Ich frage mich, ob die aktuellen Behörden bei Anträgen und Eingaben der Gastrobetriebe ihren Ermessensspielraum genug ausgeschöpft haben. Da wird oft mit Vorschriften argumentiert. Ich wünschte mir vermehrt konkretes Zulassen bzw. Ermöglichen von kreativen Massnahmen und unkomplizierten Bewilligungen, zumindest für Testphasen und Ausnahmesituationen.“
Wie bleibt das Städtli lebendig?
Alle sind sich einig: Das Städtli braucht Impulse. Die Wege dorthin unterscheiden sich.
Michael Heegewald: „Als FDP Eglisau priorisieren wir einen Jahreskalender mit regelmässigen, kleinen Formaten – zusammen mit Vereinen, Politik, Kultureinrichtungen und Gewerbe –, damit Frequenz entsteht, ohne das Ortsbild zu überfordern. Anzustreben ist ein gemeinsames Standortmarketing fürs ‚Städtli Eglisau‘ mit digitaler Sichtbarkeit und mit überregionalen Kooperationen im Rafzerfeld.“
SVP Eglisau: „Jeder Parkplatz der unseren Besuchern angeboten werden kann, soll genutzt werden. Es sollen diesbezüglich auch Verhandlungen mit Privaten geführt werden, z. B. die Nutzung ‚Brückenkopf Nord‘ durch Gäste an Sonntagen.“
Sven Patrick Stecher: „Wir müssen von der Umsetzung von Foodtruck oder Aussengastronomie wechseln auf die Findung und das Gestalten eines wirtschaftlich förderlichen Rahmens. Einmal mehr: Dialog mit der Neugier, Ideen zu erhalten und nicht, um bestehende Ideen durchzusetzen.“
Klaus Vogel: „Es wäre gut, wenn im Städtli die vielen Bauvorhaben bald einmal abgeschlossen wären (Törliplatz, Krone, …) und sich die Situation etwas beruhigen könnte. Gestalterische Details sind übrigens wichtig, und aktuell wird zu wenig auf sie geachtet.“
Christoph Hagedorn:
„Das einzigartige ‚Produkt‘ Eglisau, seine Gastronomie und das Gewerbe muss den Nachteil ‚schwierige Zufahrt‘ mit einer positiven Seite – ‚ohne Stress mit ÖV, Fahrrad oder zu Fuss erreichbar, herzlich, nahbar‘ – argumentativ kompensieren. Ich bin überzeugt, dass eine Image-Korrektur dem Gewerbe und vor allem den Gastrobetrieben neue und zusätzliche Kunden bringt.“
Dialogkultur – oder das Fehlen davon
Am deutlichsten ist der Frust in der Frage nach dem politischen Stil spürbar.
Michael Heegewald: „Konstruktiver Dialog ist keine Kür, sondern Pflicht der öffentlichen Hand. Von einem ‚strukturellen Kulturproblem‘ spreche ich erst, wenn systematisch Regeln verletzt werden; was ich sehe, sind Verbesserungspotenziale in Prozessen und in dem gegenseitigen Vertrauen.“
Sven Patrick Stecher: „Es reicht, wenn Herr Dubno und andere Betroffene das darlegen. Meine Gedanken gehen nicht in Richtung der Kritik sondern der Lösungsfindung, wie es besser gemacht werden könnte.“
Klaus Vogel: „Es wäre spannend und wichtig zu erfahren, worin Werner Dubno die mangelnde Dialogbereitschaft erkennt. Aber ja, alle und auch die Behördenvertreter dürften sich noch mehr einsetzen für ein wohlwollendes unterstützendes Miteinander.“
Ruedi Mösch: „Es wäre hilfreich, zeitnah eine Stellungsnahme zu haben. Wurde die Dringlichkeit, sprich die Gefahr einer Schliessung, nicht erkannt?“
Christoph Hagedorn bringt den stärksten Vorwurf:
„Meine Erfahrung ist leider schon so, dass in der aktuellen Legislatur auf Anfragen und Anliegen lange oder gar nicht reagiert wurde. Manchmal kam erst nach mehrmaligem Nachfragen eine Reaktion aus dem Gemeindehaus. Ich frage mich, was da los ist? Ich würde es sehr begrüssen, wenn die politische Leitung der Gemeinde dem kooperativen, konstruktiven Dialog – nicht nur aus strategischer Sicht – deutlich mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt schenken würde.“
(Die Ortspartei FokusEglisau hat auf die Anfrage von zu24 nicht reagiert.)