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«Ich bin nicht von der Nagra gekauft!»

Schriftsteller Thomas Meyer vor dem Nagra-Treffpunkt in Stadel
Schriftsteller Thomas Meyer vor dem Nagra-Treffpunkt in Stadel Bild: Marc Jäggi
Schriftsteller Thomas Meyer entwickelt kreative Ideen rund um das Atomendlager Nördlich Lägern. Warum tut er das? zu24 hat den Künstler in Stadel getroffen.

Der Zürcher Thomas Meyer gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schriftstellern des Landes. Nach einem abgebrochenen Jurastudium arbeitete er als Werbetexter und Journalist, bevor er 2012 mit seinem Debütroman "Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse" den literarischen Durchbruch schaffte. Der Roman wurde zum Bestseller und später erfolgreich verfilmt. 

Nun hat sich Meyer auf ein ungewöhnliches Projekt eingelassen. Als erster Kulturgast des Künstlerateliers der Regionalkonferenz Nördlich Lägern widmet er sich einem umstrittenen, regionalen Thema mit nationaler und internationaler Ausstrahlung: dem geplanten Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Doch eines stellt Meyer von Anfang an klar: „Ich bin nicht von der Nagra gekauft.“ Seine Auftraggeberin ist die Regionalkonferenz Nördlich Lägern. Ein Zusammenschluss von Behörden und Fachgruppen mit dem Ziel, dass beim Bau des Tiefenlagers die Bedürfnisse der Region berücksichtigt werden.

Für den Schriftsteller Thomas Meyer ist die Teilnahme an diesem Projekt kein leichtfertiges Unterfangen. „Es ist ein schöner Auftrag, aber auch eine Herausforderung“, erklärt er. „Die Komplexität des Themas und die Widersprüche, die es aufwirft, haben mich von Anfang an gereizt.“

Meyer betont, dass seine Motivation aus einer tiefen persönlichen Betroffenheit kommt. „Ich bin ein Tschernobyl-Kind,“ sagt er und verweist auf seine Erfahrungen in den 80er Jahren, als die Reaktorkatastrophe die Welt erschütterte. Diese Ereignisse haben ihn geprägt und seine kritische Haltung gegenüber der Atomkraft befeuert. „Das hat viel mit mir gemacht“, gibt er offen zu.

Während seines Aufenthalts in der Region will Meyer nicht nur Kunst schaffen, sondern auch den Dialog mit der Bevölkerung suchen. „Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die unterschiedlichste Ansichten haben. Die Angst, die hier in der Region vor einem Endlager herrscht, ist greifbar“, erzählt er. Diese Ängste sind es, die er in seinen Werken aufgreift – manchmal provokativ, manchmal kindlich naiv, um auch die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft zu erreichen.

„Die Angst hat Bilder“, sagt Meyer und beschreibt, wie tief verankert diese Emotionen in den Menschen sind. „Obwohl die Nagra seit Jahrzehnten forscht und überprüft, bleibt die Angst, dass alles eine Mogelpackung ist, bei vielen real.“ Doch anstatt diese Ängste zu ignorieren, stellt Meyer sie in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung. „Ich finde es spannend, wie intelligente Menschen in solchen Diskussionen plötzlich irrational reagieren. Das will ich verstehen und künstlerisch verarbeiten.“

Sein Ansatz, das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, zeigt sich auch in seinen Projekten. Meyer hat mit "Benny Brennstab" eine süsse Figur geschaffen, die von Kritikern schon als infantile Verharmlosung des brisanten Themas bezeichnet wurde. Oder auch die sympathischen Behälter mit Sprechblasen am Fenster des Nagra-Treffpunkts in Stadel wirken mehr wie eine Einladung zum Spielen als wie hochriskante radioaktive Abfälle.  Ein bewusster Kontrast zur ernsten Thematik. „Ich will, dass auch Kinder fragen: Was ist das?“, erklärt er. Kritik an dieser Herangehensweise nimmt er gelassen hin. „Ja, es ist eine Infantilisierung, aber sie ist beabsichtigt. Ich möchte, dass das Thema auf allen Ebenen greifbar wird.“

Meyer lässt keinen Zweifel daran, dass seine Kunst nicht einfach nur dekorativ sein soll. „Meine Mission ist, mit den Widersprüchen des Themas zu spielen und dadurch Diskussionen anzustoßen,“ sagt er. Die Auseinandersetzung mit der Bevölkerung ist ihm dabei besonders wichtig. „Es geht mir nicht darum, den Menschen zu sagen, was sie denken sollen. Ich möchte, dass sie sich selbst reflektieren.“

Doch wie geht Meyer mit dem Vorwurf um, sich für das Projekt als PR-Maschinerie einspannen zu lassen? „Ich bin nicht von der Nagra gekauft“, wiederholt er bestimmt. „Ich habe kein Interesse daran, für jemanden Werbung zu machen. Es geht mir darum, ein gesellschaftlich relevantes Thema künstlerisch zu bearbeiten.“

Meyer sieht das Künstleratelier als Chance, tief in die Thematik einzutauchen und neue Perspektiven zu gewinnen. „Wenn ich das Maximum aus dieser Erfahrung nicht heraushole, dann habe ich versagt,“ gibt er zu. Für ihn ist das Projekt nicht nur eine berufliche Herausforderung, sondern auch eine persönliche Mission.

Ob Thomas Meyers Engagement die Diskussionen in der Region beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Eines steht jedoch fest: Mit seiner unabhängigen und kritischen Herangehensweise bringt er frischen Wind in eine komplexe, kontroverse Debatte. „Ich freue mich auf die kommenden Wochen bis zur Finissage meines Engagements,“ sagt er abschließend, „und darauf, zu sehen, welche Impulse meine Arbeit auslöst."

Die Finissage mit Thomas Meyer findet am 24. Oktober um 18 Uhr im Sigristenkeller Bülach statt. Über diesen Link können sich alle Interessierte anmelden und dabei sein. 

  • Provokative Fragen am Fenster des Nagra-Treffpunktes in Stadel Bild: Marc Jäggi
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  • Der Nagra-Treffpunkt in Stadel Bild: Marc Jäggi
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Das Interview mit Schriftsteller Thomas Meyer

zu24: Wie reagiert die Kultur- und Kunstszene auf dein Engagement für das Endlager-Projekt?

Thomas Meyer: Die Kultur- und Kunstszene hat sich stark verändert. Der Austausch ist nicht mehr so lebendig wie früher. Die Leute sind heute oft in ihrer eigenen Blase unterwegs. Wenn du darauf spekulierst, dass die Szene große Wellen schlägt, weil ich das mache, muss ich dich enttäuschen. Bisher waren die Reaktionen durchweg positiv und differenziert. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, von regionalen Entscheidungsträgern bis zu Bürgern, und alle haben sich sehr differenziert geäußert.

zu24: Was bedeutet das Projekt für dich persönlich als kreativer Mensch?

Thomas Meyer: Es ist ein sehr komplexes Thema. Der Auftrag, für die Regionalkonferenz Nördlich Lägern zu arbeiten, hat mich gereizt, weil er sowohl anspruchsvoll als auch spannend ist. Die Widersprüche, die in diesem Thema liegen, faszinieren mich. Ich bin ein „Tschernobyl-Kind“ – das hat viel mit mir gemacht und beeinflusst meine Sichtweise stark. Es ist interessant, dass das Endlager-Projekt bereits begonnen hat, ob wir es mögen oder nicht. Diese Spannung möchte ich in meiner Arbeit ausdrücken.

zu24: Wie gehen die Menschen in der Region mit dem Thema um?

Thomas Meyer: Es ist erstaunlich, wie stark die Emotionen dominieren, selbst bei intelligenten Menschen. Sobald das Thema Endlager zur Sprache kommt, treten rationale Überlegungen oft in den Hintergrund. Da spielt viel Angst mit, eine Angst, die sich in Bildern ausdrückt. Die Vorstellung, dass ein Giftmüllfass bei der kleinsten Berührung auslaufen könnte, ist tief verankert, obwohl die Realität eine andere ist. Diese irrationale Angst möchte ich in meiner Arbeit thematisieren.

zu24: Warum hast du dich für eine kindliche Gestaltung entschieden?

Thomas Meyer: Die kindliche Gestaltung meiner Projekte ist bewusst gewählt, um das Thema auch für jüngere Generationen zugänglich zu machen. Das Thema betrifft schließlich auch Kinder. Ich habe mich entschieden, den Behältern eine spielerische Note zu geben, um Fragen zu provozieren. Es geht darum, das Problem sichtbar zu machen und darüber zu diskutieren.

zu24: Was reizt dich an den Widersprüchen des Themas?

Thomas Meyer: Die Widersprüche sind genau das, was mich an diesem Thema fasziniert. Es gibt so viele verschiedene Perspektiven, die es zu berücksichtigen gilt. Als Künstler habe ich die Aufgabe, diese Spannungen sichtbar zu machen und eine Diskussion darüber anzuregen. Gleichzeitig ist es mir wichtig, meine eigene Haltung nicht zu verstecken. Ich bin nicht neutral, und das möchte ich auch in meiner Arbeit zeigen.

zu24: Wie gehst du mit dem Vorwurf um, dass du dich von der Nagra einspannen lässt?

Thomas Meyer: Ich bin nicht von der Nagra gekauft. Es geht mir nicht darum, für jemanden Werbung zu machen, sondern darum, ein gesellschaftlich relevantes Thema künstlerisch zu bearbeiten. Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, was hier passiert, und ihre eigenen Schlüsse ziehen.

zu24: Was erwartest du von deiner Arbeit in diesem Projekt?

Thomas Meyer: Meine Mission ist es, Diskussionen anzustoßen und Menschen zum Nachdenken zu bringen. Wenn ich das nicht erreiche, habe ich mein Ziel verfehlt. Dieses Projekt ist eine Chance für mich, das Maximum aus meiner Kreativität herauszuholen. Es ist mir wichtig, diese Gelegenheit zu nutzen und das Thema tiefgründig zu bearbeiten.

zu24: Was nimmst du persönlich aus diesem Projekt mit?

Thomas Meyer: Es ist eine Möglichkeit, Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Dieses Projekt bietet mir die Chance, in einem neuen Feld zu arbeiten und dabei meine eigene Perspektive einzubringen. Ich freue mich auf die kommenden Wochen und darauf, zu sehen, welche Impulse meine Arbeit auslöst. Es ist eine Herausforderung, die ich gerne annehme. Wenn ich es schaffe, das Thema so zu bearbeiten, dass es die Menschen bewegt, habe ich mein Ziel erreicht.

Links zum Thema

Unter diesem Link finden Sie die Arbeiten von Thomas Meyer und später auch von anderen Künstler:innen: Link zur Seite Kulturgast

Unter diesem Link finden Sie Informationen zu Regionalkonferenz Nördlich Lägern: Link zur Seite der Regionalkonferenz. 

Unter diesem Link finden Sie Informationen zum Tiefenlager Nördlich Lägern. Link zur Seite der Nagra. 

mj