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Region Bülach
02.09.2024
02.09.2024 04:40 Uhr

Eglisauer Parteien sind gegen eine «Kleeblatt»-Privatisierung

Bild: Marc Jäggi
SP, GLP, Fokus, Mitte und FDP wollen, dass die Pflegewohngruppe «Kleeblatt» vom gemeindeeigenen Alterszentrum Weierbach betrieben wird. Kommt das gut?

Am Mittwoch, 4. September entscheidet die Eglisauer Gemeindeversammlung über die Zukunft der Pflegewohngruppe "Kleeblatt". Es gibt an diesem Abend drei mögliche Szenarien. 1. Die Bevölkerung will, dass der Mietvertrag an die private Institution Oase am Rhein übertragen wird. Dieses Szenario wird vom Gemeinderat favorisiert. 2. Die Pflegewohngruppe Kleeblatt bleibt in Gemeindehand und wird vom Alters- und Pflegezentrum Weierbach betrieben, über eine gewisse Zeit mit Unterstützung, namentlich von der Spitex am Rhein. Oder 3.: Es wird an der Gemeindeversammlung Antrag auf Urnengang gestellt. Dieser Antrag müsste von einem Drittel der anwesenden Stimmberechtigten unterstützt werden. 

Im Moment sieht alles nach einem Durchmarsch für die Variante 2 aus. Sprich: Die Pflegewohngruppe Kleeblatt vom Alterszentrum Weierbach betreiben zu lassen, allerdings während einer gewissen Zeit mit Unterstützung. Gespräche wurden diesbezüglich mit der Spitex am Rhein geführt. Diese Variante wird von fast allen Parteien unterstützt. Schaffen es SP, Fokus, Mitte, FDP und GLP ihre Leute für die Gemeindeversammlung am Mittwoch zu mobilisieren - was kein Problem sein dürfte - steht dieser Variante nichts mehr im Weg. Es wäre auch ein bemerkenswerter Triumph für die Interparteiliche Konferenz Eglisau (IPK). Sie würde mit dem Sieg eindrücklich demonstrieren, dass sie mit einer gemeinsamen Linie, die Politik in Eglisau prägen und bestimmen kann. 

Dass man im Vorfeld der Gemeindeversammlung von den Befürwortern der Variante 1 nichts hört, ist enttäuschend. Es gäbe nämlich durchaus gute Argumente, die für eine Privatisierung sprechen. Gibt es aber vom Lager Variante 1 keinen zündenden Geheimplan im Hinblick auf den 4. September, ist die Sache gelaufen und das krisengeschüttelte AZW muss sich mit der Gestaltung und dem Betrieb einer Pflegewohngruppe Kleeblatt beschäftigen. Ob dieses Projekt mit Unterstützung durch die Spitex am Rhein für das AZW machbar ist, wird sich zeigen. 

zueriunterland24.ch hat der IPK ein paar kritische Fragen gestellt. Der aktuelle Präsident Sven Patrick Stecher (Mitte) hat diese stellvertretend beantwortet. 

zu24: Herr Stecher, die IPK befürwortet Variante 2, obwohl der Gemeinderat auf die Risiken hinweist. Können Sie konkret darlegen, warum die IPK das finanzielle Risiko als „klein und einschätzbar“ betrachtet? Wie realistisch ist diese Einschätzung wirklich?

Sven Stecher: Der Gemeinderat weist nicht auf konkrete, kalkulierte Risiken hin, sondern auf ein theoretisches Risiko, welches in jeder unternehmerischen Tätigkeit steckt. Zudem sprechen wir nicht von einem Risiko in der Höhe des Verpflichtungskredites, sondern vom Risiko eines abweichenden Betrags in der jährlichen Erfolgsrechnung. Das ist keine Lotterie, sondern liegt zu einem guten Teil in den Händen der Führung des Betriebes AZW mit integriertem Kleeblatt.

zu24: Die IPK spricht von einer klaren Zukunftsperspektive bei Variante 2. Was genau bedeutet das für die langfristige finanzielle Belastung der Gemeinde und wie wollen Sie garantieren, dass diese Entscheidung nicht zu zukünftigen Steuererhöhungen führt?

Sven Stecher: Bei Variante 2 erhalten wir uns die Möglichkeit, gleichzeitig eine gute Position im Markt der Alterspflege auszubauen und wirtschaftlich positiv abzuschliessen. Sollte sich die Investition ins Kleeblatt wider Erwarten negativ entwickeln, würden wohl Nutzungsänderungen, rechtliche Verselbständigung oder Weitergabe des Mietvertrages, aber sicher keine Steuererhöhung geprüft werden. Wir können also positiv denken: Diverse Beratungsunternehmen rechnen für Variante 2 mit einem erfolgreichen Szenario.

zu24: Inwiefern ist die IPK bereit, Verantwortung für mögliche finanzielle Engpässe oder Qualitätseinbußen in der Pflege zu übernehmen, falls sich Variante 2 als weniger tragfähig erweist als erwartet?

Sven Stecher: Im gleichen Masse wie die IPK mitverdienen wird, wenn durch Variante 2 Geld in die Gemeindekasse kommt. Nein, im Ernst: Die Verantwortung für den richtigen Entscheid und seine Folgen liegt beim Volk. Gemeinderat und IPK haben so transparent wie möglich Informationen bereitzustellen, damit der für Eglisau richtige Entscheid getroffen werden kann.

zu24: Der Gemeinderat hat eine Empfehlung für Variante 1 abgegeben. Was qualifiziert die IPK, die Einschätzung des Gemeinderats infrage zu stellen?

Sven Stecher: Wir stellen die Einschätzung des Gemeinderates nicht infrage. Der Gemeinderat hat aus der Perspektive der finanziellen Risikovermeidung richtig priorisiert. Die IPK geht aber von einem anderen Leitgedanken aus: Wir wollen eine leistungsstarke Alterspflege in der Obhut der öffentlichen Hand. Aus dieser Perspektive ist Variante 2 richtig.

zu24: Sie argumentieren, dass ein Privatunternehmen möglicherweise die Qualität der Altenpflege gefährdet. Was sind Ihre konkreten Beweise oder Beispiele, dass dies im Fall von Oase am Rhein AG eintreten würde?

Sven Stecher: Das ist nicht ganz richtig wiedergegeben. Heute erbringen sowohl die Oase wie auch das AZW auf qualitativ hohem Niveau ihre Leistung. Wie sieht es in der Zukunft aus? Es ist der kommerzielle, d.h. gewinnorientierte Ansatz der privaten Oase am Rhein, der möglicherweise der Qualität vorangehen wird. Oase kann zudem höhere Löhne anbieten. Bei Fachkräftemangel wird das AZW so einen Nachteil im Wettbewerb um Personal erfahren. Das AZW hingegen muss keine Gewinne abliefern. Schon eine schwarze Null bei ausgebauter Leistung macht Eglisau glücklich, wie übrigens auch der Gemeinderat der Variante 2 attestiert.

zu24: Der Gemeinderat hat betont, dass Variante 1 die Gemeinde von Risiken entlastet. Warum sollte die Gemeinde Eglisau aus Sicht der IPK dieses Risiko dennoch eingehen?

Sven Stecher: Wie bitte? Bei Variante 1 entstehen der Gemeinde keine Risiken? Wenn die Chance Kleeblatt nicht ergriffen wird, werden die Risiken entstehen, die jeder Organisation drohen, die den Null-Risiko-Kurs einschlägt: erstens den Anschluss in der Altenpflege verpassen, Innovation einschränken, keine Konkurrenz mehr am Markt darstellen. Zudem müssen wir die Rhiburg in naher Zukunft sowieso sanieren. Wenn wir kein Kleeblatt haben, müssen die Bewohnenden der Rhiburg Raum im Hauptgebäude belegen und schmälern damit die Ertragskraft des AZW erheblich. Zweitens droht das Risiko eines Preisanstiegs: In der Pflegeleistung berechnen öffentliche Hand und Private nach denselben Ansätzen. In den Zusatzleistungen der Hotellerie jedoch können private Pflegeunternehmen Preis wie Leistung auf Luxusniveau erhöhen. Spätestens dann riskieren wir, kein öffentliches, konkurrenzfähiges Angebot mehr in der Hand zu haben.

zu24: Wie sieht Ihr Plan B aus, falls die Umsetzung von Variante 2 nicht die erhofften positiven Effekte bringt? Gibt es einen Notfallplan, um die Qualität der Altenpflege zu sichern?

Sven Stecher: Der Plan B lautet, Plan A zu entwickeln und bis zum Erfolg zu bringen. Das können wir, weil die Gemeinde mit einer ideal funktionierenden BAPF mit Variante 2 das Szepter in der Hand behalten wird und täglich besser werden will.

zu24: Die IPK hebt das „altersstrategische“ Potenzial von Variante 2 hervor. Wie stellen Sie sicher, dass diese Strategie nicht lediglich ein theoretisches Konstrukt bleibt, sondern tatsächlich realistische und nachhaltige Vorteile für die Gemeinde bringt?

Sven Stecher: Den Begriff des altersstrategischen Potenzials hat der Gemeinderat für Variante 2 ins Spiel gebracht. Gemeint ist damit, gemäss Aussage der Gemeinderätin Regula Peter, die Handlungsfreiheit für einen längerfristigen Beitrag zu einem altersfreundlichen Eglisau, indem die Rhiburg künftig anders genutzt werden kann als bisher. Damit ist diese Strategie eine Willensäusserung des Gemeinderates und wird so hoffentlich in die Gemeindestrategie der Alterspflege (in das noch fehlende Alterskonzept) Eingang finden.

zu24: Können Sie garantieren, dass die Unterstützung durch die Spitex am Rhein (SaR) ausreicht, um den Übergang und den Betrieb der Pflegewohngruppe im Kleeblatt reibungslos zu gestalten? Welchen Einfluss hat der Wechsel in der Führung des AZW auf den Variantenentscheid?

Sven Stecher: Die IPK erkennt im Austauschen der Führung des AZW die Entschlossenheit der Behörden BAPF und Gemeinderat, das AZW zu stärken und vorwärts zu bringen. Unabhängig von den beiden Varianten Kleeblatt ist das sowieso eine wichtige Massnahme. Das AZW wird mit dieser verzugslosen Vorgehensweise früher in der Lage sein, das Kleeblatt betrieblich erfolgreich zu integrieren und die wertvolle Unterstützung durch die Spitex am Rhein konstruktiv zu nutzen.

Lesen Sie morgen hier auf zueriunterland24.ch, wie die Spitex am Rhein das Alterszentrum Weierbach konkret unterstützen will. 

Sven Patrick Stecher, Präsident IPK Eglisau Bild: zVg

Hinweise zur Abstimmung über die Pflegewohngruppe Kleeblatt

Bei der bevorstehenden Gemeindeversammlung zur Pflegewohngruppe Kleeblatt werden zwei Varianten zur Abstimmung gestellt.

Jeder Stimmberechtigte hat eine Stimme. Die Variante mit den meisten Ja-Stimmen wird in einer Schlussabstimmung bestätigt.

Gegen den Beschluss der Schlussabstimmung kann das fakultative Referendum (Urnenabstimmung) ergriffen werden.

Eine geheime Abstimmung ist nur bei der Schlussabstimmung und der Abstimmung über das fakultative Referendum zulässig, nicht jedoch bei der Variantenabstimmung.

Die unterlegene Variante wird in einer Urnenabstimmung nicht mehr zur Abstimmung vorgelegt.

mj