Die Krise der Hausarztmedizin
Der Hausarzt nimmt eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen ein. Er ist nicht nur die erste Anlaufstelle für gesundheitliche Beschwerden, sondern auch Koordinator und Lotse im komplexen medizinischen System. Doch trotz dieser zentralen Funktion steht die Hausarztmedizin vor einer tiefen Krise. Nachwuchsmangel und steigender wirtschaftlicher Druck bedrohen die Zukunft einer umfassenden und individuellen Patientenbetreuung.
Die Strategien von Hausärzten unterscheiden sich grundlegend von denen der Spezialisten. Während Letztere eine exakte Diagnose anstreben, besteht die Aufgabe des Hausarztes oft darin, gefährliche Verläufe auszuschliessen. Gerade im breiten Spektrum medizinischer Fragestellungen der Patienten liegt die besondere Herausforderung: Von harmlosen Infekten bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen begegnet dem Hausarzt alles. Diese Vielfalt macht seinen Beruf anspruchsvoll, aber auch unverzichtbar.
Die Allgemeinpraxis spiegelt die gesellschaftliche Realität wider. Besonders bei polymorbiden Patienten – Menschen mit mehreren Erkrankungen – ist der Hausarzt oft die einzige Konstante im Gesundheitssystem. Durch eine langjährige Arzt-Patienten-Beziehung entsteht Vertrauen, das nicht nur für Diagnosen und Therapien, sondern auch für Gespräche über existenzielle Fragen wie Leben und Sterben entscheidend ist. Die Stärkung dieser Rolle könnte viele unnötige Untersuchungen und Kosten einsparen.
Doch die Hausarztmedizin steht unter Druck. Immer mehr Praxen werden von Investoren aufgekauft, die nicht mehr medizinische, sondern ökonomische Interessen verfolgen. Die Patientenversorgung wird durch Effizienzsteigerung und Gewinnmaximierung geprägt. Die Individualität der Betreuung leidet, und die Beziehung zwischen Arzt und Patient wird zunehmend unpersönlicher. Eine mögliche Gegenbewegung ist die Bildung von Hausarztnetzwerken wie beispielsweise das Netzwerk Hawanet in Winterthur, dem sich viele Praxen im Zürcher Unterland angeschlossen haben. Hawanet handelt mit den Versicherungen bessere Konditionen für die Hausärzte aus und hilft so die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu bewahren. Solche Modelle sichern die Existenz der freiberuflichen Hausarztpraxen und bieten jungen Ärzten Anreize, in der Allgemeinmedizin zu arbeiten.
Der Hausarzt ist weit mehr als ein einfacher medizinischer Dienstleister. Er ist Berater, Begleiter und oft auch Vertrauter seiner Patienten. Würde sein Einfluss weiter schwinden, würde dies nicht nur das Gesundheitswesen ineffizienter machen, sondern auch die Versorgungsqualität der Patienten verschlechtern.
Die Politik muss erkennen, dass die Krise der Hausarztmedizin eine Krise des gesamten Gesundheitssystems ist. Lösungen sind gefragt, um diesen zentralen Pfeiler der medizinischen Versorgung zu stabilisieren – bevor es zu spät ist.
Dr. med. Giovanni Fantacci, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin mit Hausarztpraxis in Niederhasli.