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Gast-Kommentar
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30.04.2025

Dr. Unterland: «Der Sinn des Lebens – oder Sinn im Leben?»

Bild: KI/zVg
zu24-Frühlingsserie mit Hausarzt 4.0 Dr. med. Giovanni Fantacci. Heute: Warum nicht Glück, sondern Sinn unser Leben trägt – gerade in schwierigen Zeiten.

Was gibt dem Leben Sinn? Ist es Glück, Erfolg oder die Spuren, die wir hinterlassen? Während viele das Glück zum höchsten Ziel erklären, rücken Philosophen wie Wilhelm Schmid die Lebenskunst in den Mittelpunkt – eine Kunst, die besonders dann gefragt ist, wenn das Leben nicht gelingt.

Sinn ist nichts Vorgegebenes, sondern etwas, das wir selbst gestalten. Oft drängt sich die Frage nach dem Sinn gerade in schwierigen Momenten auf: bei Krankheit, Verlust oder grossen Veränderungen. Wer sein Leben als zusammenhängende Geschichte begreift, kann auch in Krisen einen roten Faden erkennen.

Für Schmid besteht das Leben aus Gegensätzen: Freude und Leid, Erfolg und Scheitern, Gesundheit und Krankheit. Erst im Zusammenspiel dieser Erfahrungen entsteht Tiefe. Entscheidend ist nicht, nur Glück anzuhäufen, sondern das Leben bewusst zu führen – mit all seinen Höhen und Tiefen.

Gerade in der heutigen Zeit, in der Selbstoptimierung und schnelle Erfolge zählen, wird oft übersehen, dass auch das Scheitern Teil eines sinnvollen Lebens sein kann. Wer nur nach Glück strebt, läuft Gefahr, an den unvermeidlichen Rückschlägen zu verzweifeln. Wer dagegen Sinn sucht, kann auch schwierige Phasen als wertvollen Teil des Lebens begreifen.

Was gibt also Sinn? Beziehungen, gelebte Werte, das Gefühl, gebraucht zu werden. Der Sinn liegt nicht irgendwo da draussen – er entsteht im täglichen Handeln, im Miteinander, in den kleinen Momenten wie in dieser Geschichte:

Ein alter Mann verliess niemals das Haus, ohne zuvor ein paar Bohnen einzustecken. Nicht um sie zu kauen. Nein, er trug sie bei sich, um die schönen Momente des Tages bewusst wahrzunehmen und um diese wertvollen Augenblicke besser zählen zu können. Für jede positive Kleinigkeit, die ihn tagsüber erfreute – ein hüpfendes Kind, ein köstliches Mahl, ein Sonnenstrahl, das Lächeln eines Menschen – liess er eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern. Manchmal waren es gleich zwei oder drei. Abends sass er dann zu Hause und zählte die Bohnen aus der linken Tasche. Er zelebrierte diese Minuten. Er führte sich nochmals vor Augen, wie viel Schönes ihm an diesem Tag widerfahren war, und genoss es ein zweites Mal. Und sogar an einem Abend, an dem er bloss eine Bohne zählte, war der Tag gelungen – es hatte sich gelohnt zu leben!

Dr. med. Giovanni Fantacci, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin mit Hausarztpraxis in Niederhasli.

Das war die letzte Kolumne unserer Frühlings-Serie. Wir danken Dr. Giovanni Fantacci für seine Texte und empfehlen sein Buch von Herzen. Einen guten Start in den Wonnemonat Mai. 

Giovanni Fantacci/mj