Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Region Bülach
23.06.2025

Wie ein Paar die Bleiki-Deponie zu Fall brachte

Bild: zVg
Sie hatten keine Erfahrung, aber ein Ziel: Nicole und Remo Blattner mobilisierten Rafz – und beerdigten mit Herzblut die umstrittene Deponie Bleiki.

Rafz hat entschieden. Die Deponie Bleiki wird nicht gebaut. Es ist das Ergebnis eines beispiellosen Bürgerengagements – initiiert von einem Paar, das keine politische Karriere, sondern ein Anliegen hatte: Nicole und Remo Blattner.

„Wir konnten es im ersten Moment ehrlich gesagt kaum fassen. Dass die Deponie mit so klarem Mehr abgelehnt wurde – und dass trotz einer überstarken Befürworterfront bestehend unter anderem aus dem Gemeinderat, Eberhard, den ZZ Ziegeleien und auch Wiki Bleiki – das war einfach überwältigend. Es hat uns tief berührt. Dieses Ergebnis zeigt, wie stark der Zusammenhalt in Rafz ist, wenn es um unsere Lebensqualität und unsere gemeinsame Zukunft geht. Noch heute haben wir Gänsehaut, wenn wir daran zurückdenken. Wir sind unglaublich dankbar, dass so viele Menschen sich informiert, engagiert und abgestimmt haben.“

Der entscheidende Moment kam an der Gemeindeversammlung in Rafz. Hunderte Menschen strömten in die Saalsporthalle, die Stühle reichten nicht aus, sogar Turnmatten wurden ausgelegt. Nicole und Remo Blattner erinnern sich: „Bis ganz zum Schluss waren wir eigentlich ziemlich unsicher. Es war so schwer einzuschätzen, wie die Stimmung wirklich ist. Aber dann, an diesem Abend in der Saalsporthalle, als immer mehr Rafzerinnen und Rafzer kamen – und der Strom an Leuten einfach nicht aufhörte, die Sitze nicht gereicht hatten, zu Turnmatten gegriffen wurden und dann auch noch auf die Tribünen ausgewichen wurden – da haben wir uns zum ersten Mal angeschaut und gedacht: Verdammt, das könnte wirklich gut kommen. Und was uns dann fast sprachlos gemacht hat: Wir haben scheinbar tatsächlich einen schweizweiten Rekord aufgestellt! Noch nie zuvor waren so viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an einer Gemeindeversammlung – ganze 906! Der bisherige Rekord lag bei 900 in Fehraltorf im Jahr 2010. Das hat uns tief berührt, denn es zeigt, wie sehr den Menschen hier ihre Heimat am Herzen liegt.“

Dabei begann alles mit einem Gefühl der Ohnmacht. „An dem Tag, als der Gemeinderat sein Ja zur Deponie Bleiki bekannt gegeben hat. In den anschliessenden Tagen war es ruhig, es scheint sonst niemand wirklich etwas dagegen zu unternehmen – und einfach nichts tun und abwarten, ob sich jemand der Sache annimmt, das kam für uns nicht infrage. Also haben wir gesagt: Wenn nicht wir, wer sonst? Und haben losgelegt. Aus einem Bauchgefühl wurde ein echtes Engagement – und aus dem Engagement eine Bewegung, die schlussendlich gezeigt hat, wie stark der Zusammenhalt in Rafz sein kann, wenn es darauf ankommt.“

Ohne Vorkenntnisse, aber mit viel Herzblut begannen sie ihren Kampf. „Ganz ehrlich? Wir hatten keine Ahnung, wie man so etwas angeht – aber wir hatten Herzblut, Entschlossenheit und den festen Glauben, etwas zu bewegen.“ Sie klopften an alle Türen. Schnell fanden sie Verbündete – aus der anfänglichen Initiative wurde das Rafzer Bürgerkomitee.

Doch der Widerstand war spürbar. „Die Stimmung war für uns während der Meinungsfindung im Dorf ziemlich herausfordernd. Man trifft im Alltag oft vor allem auf Menschen, die gegen die Deponie sind, sodass wir zuerst fast nur eine Seite der Debatte wahrgenommen haben. Gleichzeitig haben die Informationsveranstaltungen immer wieder gezeigt, dass viele im Dorf die Deponie befürworten – was uns natürlich verunsichert hat, denn der Applaus und die Unterstützung für das Projekt waren deutlich spürbar. Besonders schwierig fanden wir, dass grosse Vereine, der Gemeinderat, mehrere Parteien und andere wichtige Akteure sich im Rafzer Weibel offen für die Deponie ausgesprochen haben. Dabei wurden die Gegner teils sehr scharf kritisiert und als Lügner oder Egoisten dargestellt – das hat uns enttäuscht, weil wir glauben, dass man miteinander respektvoll umgehen sollte, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist.“

Auch persönliche Angriffe gehörten dazu. „Das Schlimmste für uns waren die Anschuldigungen und Vorwürfe. Hin und wieder gab es auch persönliche Angriffe. Wir wussten aber, dass dies auch eine Strategie ist, um uns bewusst unter Druck zu setzen, davon haben wir uns nicht abschrecken lassen. Es war ein emotional sehr aufgeladener Prozess, in dem es um viel ging – aber wir sind immer und trotz all den negativen Erlebnissen bemüht gewesen, respektvoll, nett und offen für Gespräche zu bleiben.“

Die Tochter der beiden war von Anfang an Teil des Kampfes. „Genau genommen ist unsere Tochter der eigentliche Auslöser für unseren Kampf. Sie liebt die Natur und alle Tiere über alles und ist ganz oft mit uns im Wald unterwegs. Als sie von der geplanten Deponie hörte, wurde sie richtig wütend und meinte entsetzt: ‘Niemand darf Müll in die Natur schmeissen!’. Sie malte ein Bild dazu und dieses hängte die ganze Zeit an der Wand und hat uns als klare Stimme der nächsten Generation immer aufs Neue motiviert, weiter zu machen, auch dann wenn es hart wurde.“

Gefragt nach dem schönsten Moment, sagen Nicole und Remo: „Die vielen wunderbaren Menschen, die wir kennen lernen durften und welche wir ohne Deponie wohl niemals getroffen hätten. Ein Kernmitglied beschrieb treffend wir seien wie die Gefährten aus ‘Herr der Ringe’. Unterschiedlicher hätten wir nicht sein können. Jede Person ausgestattet mit einzigartigen Fähigkeiten und es brauchte jeden Einzelnen von uns, um diesen Sieg zu erreichen. Gemeinsam für ein Ziel und seine Heimat zu kämpfen das verbindet. Zu sehen was alles erreicht werden kann, wenn man als Gemeinschaft zusammenhält, ja sogar Rafzer Geschichte schreiben kann, ist einfach grossartig.“

Und wie geht es jetzt weiter? Nächstes Jahr sind sind Gemeinderatswahlen, da gäbe es die Möglichkeit sich zur Wahl zu stellen. Wäre ein solches Amt reizvoll?  „Diese Frage wurde uns tatsächlich bereits öfters gestellt. Nach all dem, was war, tut es gut, mal durchzuatmen. Und was die Zukunft bringt – das lassen wir ganz entspannt auf uns zukommen.“ Remo ergänzt noch: „Wenn Rafz das Gefühl hätte, ich wäre der Richtige – dann würde ich mir das durchaus in Ruhe überlegen.“

 

mj