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Region Bülach
11.07.2024
11.07.2024 12:15 Uhr

Eglisau: Beim Thema «Kleeblatt» dominiert das Misstrauen

Bild: mj
Ein Informationsabend zum weiteren Vorgehen bei der Pflegewohngruppe «Kleeblatt» machte deutlich: Der Gemeinderat hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Die unendliche Geschichte um die Demenzwohngruppe in Eglisau hat den einstigen Glücksbegriff "Kleeblatt" wenigstens am Hochrhein arg strapaziert. Mit dem gestrigen Informationsabend wurde ein weiteres Kapitel geschrieben. Es wird nicht das Letzte sein. Die ewige Frage mit vielen "aber" bleibt: Wie weiter mit der Pflegewohngruppe Kleeblatt Eglisau? 

In aller Kürze für allfällige Neo-Interessierte

An der Gemeindeversammlung vom 14. März 2024 haben die Stimmberechtigten den Antrag des Gemeinderats zurückgewiesen, den Kredit für die Miete und den Betrieb der Pflegewohngruppe «Kleeblatt» zurück zu nehmen und damit den Weg frei zu machen, den Mietvertrag an einen Dritten zu übertragen. Der Souverän verlangte einen Marschhalt und eine genaue Überprüfung aller möglichen Varianten. Dies ist nun geschehen. Die Beratungsfirma Vitalba hat im Auftrag des Gemeinderats und der Behörde für Alters- und Pflegefragen (BAPF) eine detaillierte vergleichende Analyse erstellt. Der Bericht wurde am Mittwoch, 10 Juli in der Mehrzweckhalle Steinboden der Bevölkerung vorgestellt. 

Der ganze, detaillierte Bericht finden Sie HIER - eine Lektüre sei sehr empfohlen. Ja, Demokratie ist zuweilen anstrengend.  

Experte empfiehlt zwei Varianten

Moderator Kay Schubert - gemäss LinkedIn-Profil ein ausgewiesener Kommunikationsprofi - bewarb sich mit überdurchschnittlicher Getragenheit eindrücklich als Sprecher für autogenes Training. Zum Glück brachte Vitalba Geschäftsführer David Baer bei der Präsentation seines Berichtes wieder Energie in den Saal. 

Vitalba hat im Auftrag des Gemeinderats und der Behörde für Alters- und Pflegefragen (BAPF) drei Zukunfts-Varianten für das Kleeblatt vertieft geprüft und verglichen. Baer erläuterte die Ergebnisse und empfahl, zwei Varianten weiter zu verfolgen. Es sind dies, wie kürzlich von zu24 geschrieben: "Übertragung des Mietvertrags an einen Dritten" und "selber realisieren aber mit Unterstützung" 

Tiefes Misstrauen

Man nimmt der Vitalba und ihrem Chef Baer ab, dass die Analyse fundiert und seriös erstellt wurde. Man vertraut darauf, dass die entsprechenden Experten unabhängig und nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet haben. Leider ist aber eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Inhalten und Lösungen nicht wirklich möglich, weil das Misstrauen gegenüber dem Gemeinderat und der zuständigen Behörde für Alters- und Pflegefragen BAPF im Saal deutlich hör- und spürbar die Stimmung und Meinung dominiert. 

Hat der Gemeinderat einen Geheimplan? 

Gemeindepräsident Roland Ruckstuhl wird auf der Bühne der Mehrzweckhalle Steinboden nicht müde zu betonen, dass der Gemeinderat ergebnisoffen sei und es noch viel zu früh sei um sich für eine Variante zu entscheiden. Nicht wenige Anwesende glauben ihm nicht. Vor allem Leute aus dem Umfeld der Spitex am Rhein fühlen sich übergangen. Die sogenannte SaR (Spitex am Rhein) will, dass die Alterspflege bei der öffentlichen Hand bleibt und nicht privatisiert wird. Aus diesem Grund hat sie selber einen Vorschlag eingereicht und sich als Unterstützerin ins Spiel gebracht. Sie sieht eine Lösung für eine interimistische Betriebsführung, während zwei bis vier Jahren. Nach spätestens vier Jahren wäre dann eine Übergabe an das Alterszentrum Weierbach vorgesehen. Dieser Vorschlag werde zu wenig gewürdigt und in Betracht gezogen, ist die Meinung im Umfeld der SaR. Teilweise vermutet man ein abgekartetes Spiel. 

Voten aus dem Publikum

Der Präsident der lokalen FDP, Michael Heegewald, verlangt, dass endlich Gespräche mit der Spitex am Rhein geführt werden. Er habe dies schon mehrfach verlangt und bisher sei nichts geschehen. In die gleiche Kerbe schlägt Peter Bär vom SaR-Vorstand. Aus seiner weitere Frage an die BAPF-Präsidentin Peter nach  Konditionen, die man mit der Oase am Rhein abgemacht habe, lässt sich schliessen, dass man die Gemeinde verdächtigt mit der Oase unter einer Decke zu stecken und diese bevorzugen zu wollen. Die Gemeinde dementiert. Gemäss Gemeindepräsident Ruckstuhl haben Gespräche mit der SaR stattgefunden. Einfach nicht auf Gemeindeebene, dies sei nicht Sache des Gemeinderates, sondern David Baer von der Vitalba habe im Rahmen der Analyse mit der Spitex am Rhein gesprochen. 

Christina Kuhn - Ärztin und ehemaliges Mitglied der BAPF - betonte wie wichtig es sei, die Pflegewohngruppe Kleeblatt in der öffentlichen Hand zu behalten. Bei einer Privatisierung wäre dieses einfach für immer weg. 

Walter Bloesch - Mitglied der Wohnbaugenossenschaft Kleeblatt - sprach vielen aus dem Herzen, als er mit Verweis auf sein "hohes" Alter selbstironisch zugab, nicht alles im Bericht wirklich zu verstehen. Und er sei ja eigentlich nahe an der Thematik dran. Ihm fehle die Variante Untermietvertrag an einen Externen. So habe das AZW die Gelegenheit sich zu sanieren und gut aufzustellen, während der Untermieter über sechs bis acht Jahre die Geschicke der Pflegewohngruppe Kleeblatt leite. Experte David Baer entgegnete, dass dies ja genau dem SaR Vorschlag entspreche. 

Angeschlagene Stimmung im Alterszentrum Weierbach (AZW) 

Egal, welche Variante man bevorzugt. Eines wurde gestern überdeutlich: Ein Alleingang ohne fremde Hilfe geht nicht. Zu unsicher, zu zerbrechlich wirkt das AZW. Obwohl gemäss BAPF die Sanierung auf guten Bahnen ist, scheint es um die Stimmung im AZW nicht zum Besten zu stehen. CEO Thomas Bucher sprach von einer "durchzogenen Stimmung". Die Belastung für Team und Leitung muss enorm sein. Externe Hilfe tut Not. Auch ein Grund, dass bald ein Projektleiter "Zukunft AZW" beim Change-Prozess mitwirken wird. Regula Peter sagte dazu kürzlich gegenüber zu24: "Das Alterszentrum Weierbach hat Strukturen und Gewohnheiten, die über Jahre entstanden sind, diese zu ändern ist nicht einfach. Wir brauchen einen Blick von aussen und Unterstützung bei der Umsetzung von Veränderungen im Betrieb sowie bei den Schnittstellen zur Gemeindeverwaltung. Wir haben uns für den Einsatz von einem Finanzfachmann mit einem grossen Know-how in der Heimleitung entschieden." 

An einen Alleingang des AZW beim Kleeblatt ist also nicht zu denken. Zu diesem Schluss kommt auch der Vitalba-Bericht. 

Hohe Pflegestufe bedeutet "Big Business"

Es mag zynisch klingen, entspricht aber der Realität. Je höher die Pflegestufe, desto mehr Geld fliesst. Oder anders ausgedrückt. Demenzkranke auf der höchsten Pflegestufe 12 sind hochrentabel. Paradoxerweise ist beim AZW die vielkritisierte Pflegewohngruppe Riiburg die einzige Sparte mit schwarzen Zahlen. Das Interesse müsste also eigentlich auch bei der Gemeinde gross sein, das "Kleeblatt" in der eigenen, öffentlichen Hand zu behalten. Ergo liegt es auch in der wirtschaftlichen Natur der Sache, dass sich Dritte um die Honigtöpfe bemühen. 

Was sind die nächsten Schritte

Gemäss Ruckstuhl will die Gemeinde der Gemeindeversammlung am 4. September zwei Vorschläge unterbreiten und eine Empfehlung abgeben. Den totalen Alleingang darf man ausschliessen. Es wird also um "Übertragung des Mietvertrags an einen Dritten" und um "selber machen mit Unterstützung" gehen. Letzteres wäre eine "light" Variante des Vorschlags Spitex am Rhein. Diese möchte natürlich ihre eigentliche Variante umgesetzt sehen. Auch besteht die Möglichkeit, dass es bei beiden Varianten zu einem Submissionsverfahren kommen könnte. Hiesse: Der Bewerbungsprozess müsste geöffnet werden. Und - auch das ist möglich - aus der Gemeindeversammlung findet ein Antrag auf Urnengang die nötigen Stimmen. Angesichts der Bedeutung des Dossiers kein absurder Gedanke. 

Nur Gespräche bis zum Konsens bringen die Lösung

Wollen die Protagonisten die totale Erschöpfung und den verständlichen Frust bei der Stimmbevölkerung vermeiden, müssen sie zusammen an einen Tisch sitzen, alle Karten auf den Tisch legen und um eine gemeinsame Lösung ringen. Jetzt. Der Souverän hat tatsächlich zwei Varianten zur Entscheidung verdient. Eine Variante "Übertragung des Mietvertrags an einen Dritten" und eine Variante "SaR und Gemeinde in Minne zusammen für ein erfreuliches Kleeblatt". Es wäre den Demenzbetroffenen zu gönnen. Sie gehen in der Diskussion leider momentan ganz vergessen. 


mj